Was haltet Ihr von Crowdfunding?

[Easy Lee]

Ich bin kein Freund davon. Zwar kann ich verstehen, dass so auch mal Projekte möglich sind, die ein Publisher nicht durchgewunken hätte, aber im Endeffekt stört es einfach den Fortschritt im Retail-Markt, da Ressourcen und Marktanteile an verschiedene kleine Projekte abfallen, was dem Markt insgesamt eine Tendenz in Richtung Low-Budget verpasst. Wie sowas endet sieht man ja am Print-Journalismus und der Musikbranche. Beides Dinge an denen ich beruflich und mit voller Leidenschaft teilhabe und die ich durch die ich-will-auch Mentalität des Webs zugrunde gehen sehe. Ich gehöre auch nicht zu den Zwangs-Optimisten, die sich da irgendeine Chance einreden. Die mögen das flexibler handhaben, am Arsch sind sie aber genauso.

[Armin]

Wenn die low budget Dinger am Ende mehr Spass machen als die anderen Teile, ist doch alles in Butter.

[Easy Lee]

Tun sie aber nicht. Es wirkt nur so, da sich die Marktanteile dahingehend verschieben, dass die Masse an Low Budget Titeln beginnt die Erträge durch Bestseller zu übertreffen.

Hier ein Diagramm aus der Long-Tail-Theorie zur Veranschaulichung:


Wenn du sagst "ich mag Indie-Games", dann meinst du damit einen Titel, der sich am schmalen Ende der X-Achse befindet. Jemand anders wird dir zustimmen, bezieht sich aber auf einen ganz anderen Titel. Auf der Y-Achse wird die Anzahl der Verkäufe dargestellt. Die Übereinstimmung der Leute hinsichtlich guter Spiele findet eindeutig im Bereich der wenigen AAA-Titel statt. Umso mehr die Anteile aus dem Long Tail aber steigen, sinken die im Bereich der Hits. Es steht durch die Fragmentierung durch Billigsoftware also zunehmend weniger Budget zur Verfügung wirklich gute und technisch hochwertige Spiele zu produzieren, die eine Vielzahl von Leuten ansprechen. Vielleicht sollte man darüber mal nachdenken, wenn man sich "Indie" als förderungswürdig betrachtet. Letztlich sind free-2-play, In-Game-Werbung, DLC usw. alles unliebsame Erscheinungen, die im Zusammenhang mit der Fragmentierung des Marktes stehen.

[Armin]

Du hast voellig Recht, und mir gefaellt Deine Analyse mit Graph und so. Aber ich sehe Deine Schlussfolgerung positiv. Ich will keine technisch hochwertigen Spiele,die eine Vielzahl von Leuten ansprechen. Solche games probier ich aus, staune eine Stunde, dann hab ich mich sattgesehen und zocke weiter Eador.

[johndoe702031]

aber im Endeffekt stört es einfach den Fortschritt im Retail-Markt

Wus? Sehe ich überhaupt nicht so. Und mal ganz allgemein gefragt: Welchen Fortschritt? Den technischen? Wohl eher nicht. Da sind doch angeblich die bösen Bremsklötze namens Konsolen drann Schuld, wie wir alle wissen^^. Den wirtschaftlichen? Es gibt nach wie vor die AAA-Megablockbuster, die sich wie geschnitten Brot verkaufen, und die in erster Linie auf der Ausgabenseite ein riesiges Problem haben. Die Kickstarter Sache ist zu speziell, als dass sie in dieser Hinsicht irgendwem die Butter vom Brot nimmt. Das kommt in deinem Diagramm nicht ausreichend zum Ausdruck: Der typische Kickstarternutzer ist KEIN typischer Konsument von Hochglanz-Blockbustern, sondern jemand, der sich von diesem Markt zunehmend abgewendet hat (sonst würde er jawohl kaum sein Geld ins Blaue hinein vorschießen, sondern direkt sofort am Markt zugreifen). Viel eher ist es doch so, dass der Spielemarkt insgesamt sehr stark gewachsen ist, und dass gerade um die entscheidende und umkämpfte Zielgruppe der 15-25jährigen die Konkurrenz zwischen Major und Major viel größer ist, als zwischen Major und Kickstarter.
Und zuletzt: Den inhaltlichen Fortschritt? AAA-Titel? Mit Verlaub: MUAHAHAHAHA!
Nein, ich sehe in diesem Fall in der zunehmenden Fragmentierung nichts Negatives, nichts, das für den Kunden von Nachteil wäre. Ganz im Gegenteil, es kommt der Spielediversität enorm zugute.

Wenn wir "Indie" und "Selfmade" sozusagen als großen Block, als "vereinigte Front" zusammenfassen, dann ist mir übrigens schon klar, dass das in der Gesamtheit auch eine massive Konkurrenz für die Majors darstellt. Auch auf der Einnahmeseite (wobei man hier natürlich auch immer einrechnen muss, dass der Markt wirklich gigantisch, nahezu füllhornhaft.gewachsen ist). Die einzig schlüssige Antwort, die mir dazu einfällt: So what? Willkommen im Informationszeitalter. Not kann auch erfinderisch machen, und damit meine ich nicht nur DLC und Fremdkontrolle, sondern vielmehr den Umstand, dass sich langfristig auch die Majors kreativ bewegen müssen, auch innovative Impulse aus dem Indiebereich aufnehmen müssen (und die kommen derzeit NUR aus dieser Richtung), wieder stärker "Nischen" und Alleinstellungsmerkmale suchen müssen, wenn sie den Massenmarkt mit dem immergleichen Einheitsbrei so dermaßen zugeschissen haben, dass diese klebrige Pampe irgendwann keiner mehr sehen mag. Die Probleme der Majors sind vor allem eines: nämlich hausgemacht. Resultate aus starrer Ausrichtung auf die immergleiche Zielgruppe mit den immergleichen Spielkonzepten, Starrheit in den Denkstrukturen der sogenannten "Entscheidungsträger", Starrheit in der fast fetischistischen bzw. fanatischen Fixierung auf Geschäftsmodelle vor den Inhalten, Starrheit im Glauben an eine nur noch quantitativ gedachte Höher-Schneller-Weiter-Mentalität, die sich nicht zuletzt in absurd hohen Ausgabenbudgets niederschlägt. Auch hier die Frage: Was sollte der Indiemarkt hier noch groß weiter abbremsen, noch weiter zum Stagnieren bringen?


Davon ab, großer Sprung jetzt: Ich sehe Kickstarter aber durchaus auch mit mindestens einer hochgezogenen Augenbraue, insbesondere was diesen übergroßen Hype angeht, der bei einigen ja schon fast Formen irgendeines Erlöser-Mythos annimmt. Was mich aber vor allem stört, ist diese penetrante Überbetonung von allem, was auch nur entfernt mit "Retro" zu tun hat. Back to the roots ist ja ein legitimes Interesse, gar keine Frage, bei all den enttäuschten Alt-Zockern, die mit den modernen (*hust*) "Errungenschaften" des Gaming-Mainstreams einfach nicht mehr klarkommen. Also nichts gegen alte und bewährte Tugenden, aber mir kommen da einfach zu wenig neue und wirklich nach vorne gehende Impulse, wie sie derzeit aus dem nicht-schwarmfinanzierten Indiebereich kommen. Man suhlt sich da für meine Begriffe zu sehr in der ruhmreichen eigenen Vergangenheit, und pustet Retro-Bubbles auf, die natürlich auch ganz schnell mal platzen können. Bestes Beispiel für diese Vergangenheitsdominanz sind dann die teils bizarr wirkenden Ankündigungs-Trailer, in denen jedes dritte Wort "retro", "oldschool" oder "tratidional" ist. Unfreiwillige Komik.

Ansonsten sehe ich Kickstarter aber in jedem Fall als Bereicherung, als Bonus, als Plus an, das sich in unserer Wahrnehmung aber erstmal realistisch erden und einpendeln muss.

[mr archer]

Ansonsten sehe ich Kickstarter aber in jedem Fall als Bereicherung, als Bonus, als Plus an, das sich in unserer Wahrnehmung aber erstmal realistisch erden und einpendeln muss.

Zustimmung. Und Retail-Markt? Darf ich mal lachen? Der Retail-Markt, der durch den scheinbar unaufhaltsamen Landgewinn von geschlossenen DRM-Platformen wie Steam bald endgültig obsolet sein dürfte? Crowdfunding ist nun wirklich dessen geringstes Problem.

Im übrigen mag ich die Idee einfach. Hat sowas von Grassroot-Bewegung und Selfempowerment.

http://www.startnext.de/karma-chakhs

Sowas ist doch erstmal ne feine Geschichte.

[Armin]

Also ich finde wirklich nicht, dass kickstarter schon in der Hype Phase ist, schon gar nicht "uebergrosser Hype". Die erfolgreichsten Projekte haben nicht mal hunderttausend Unterstuetzer, dagagen stehen Millionen bei den normalen Spielen und sogar Minecraft hat ein paar mehr Kaeufer. Und staendig gibt bekannte Leute, die dort scheitern.

[Worrelix]

Zitat zum Thema:

Es ist egal, ob Project Eternity ein Flop wird. Das Schöne an Kickstarter ist, dass die Leute das Spiel ja schon bezahlt haben.

(Chris Avellone, Game Designer/Autor bei Obsidian, den Machern von "Project Eternity")

Quelle: Aktuelle Gamestar

[mr archer]

Zitat zum Thema:

Es ist egal, ob Project Eternity ein Flop wird. Das Schöne an Kickstarter ist, dass die Leute das Spiel ja schon bezahlt haben.

(Chris Avellone, Game Designer/Autor bei Obsidian, den Machern von "Project Eternity")

Quelle: Aktuelle Gamestar

Da sollte man den Kontext der Frage aber mitliefern. Spricht er von einem kommerziellen Flop? Oder von einem qualitativen Flop?

[Armin]

kommerziell, das volle Interview ist hier:

http://www.gamasutra.com/view/feature/1 ... php?page=3


Are you planning to do more with Project Eternity, once this game comes out?

CA: Oh, yeah.

Assuming it's not a flop?

CA: Actually, it doesn't matter if it's a flop, although I don't believe that it will be. But the nice thing about Kickstarter is that people have already paid for the title. So anything else that happens after that is great, but we know what our budget is, and practically speaking, that's all we're really focused on: "We're going to make a game for this amount of money."

[johndoe702031]

Also ich finde wirklich nicht, dass kickstarter schon in der Hype Phase ist, schon gar nicht "uebergrosser Hype". Die erfolgreichsten Projekte haben nicht mal hunderttausend Unterstuetzer, dagagen stehen Millionen bei den normalen Spielen und sogar Minecraft hat ein paar mehr Kaeufer. Und staendig gibt bekannte Leute, die dort scheitern.

Ich meinte das gar nicht unbedingt zahlenmäßig, sondern eher den von mir empfundenen Grad der Euphoriewelle, der mir agesichts der zu erwartenden Reinfälle und Enttäuschungen (vielleicht sogar Missbräuche und auch rechtlichen Probleme) - wie archer ja auch schon hier irgendwo schrieb - etwas naiv vorkommt. Auf der anderen Seite sei das erleichterte Gejubel aber natürlich auch allen wirklich sehr herzlich gegönnt, und lamentieren und bereuen kann man ggf. immer noch, wenn's zu spät ist ^^ Also um Himmels Willen bloß nicht die Vorfreude von so angeblichen Realisten wie mir madig reden lassen

[mr archer]

Dachte ich mir schon. Da ich auch in einem Feld mit festen Projektbudgets arbeite - mehr kann man sich auf der finanziellen Seite als Kreativer eigentlich nicht wünschen. Hach ich mag es, wenn eine gute Idee (hier: Crowdfunding) ankommt. Klar wird es Rückschläge geben. Aber die Sache bleibt für mich trotzdem die positivste Entwicklung im Videospielsektor der letzten Jahre.

[Bedameister]

Welche Spiele die durch Crowdfunding finanziert wurden sind bis jetzt eigentlich erschienen, und wie sind diese so bei den Leuten angekommen ?

[Armin]

Naja Sardo, erst kommt Euphorie, dann Boom, dann Hype, dann Crash oder Stagnation. Wir haben also noch ne Menge vor uns. Und ich sehe keinen Grund fuer Crash, sondern erwarte Stagnation nach dem Hoehepunkt.
Ich sehe das genau andersherum, dafuer dass die Nummer erst seit kurzem ueberhaupt bekannt ist, gibt es schon erstaunlich viel Pessimismus, ist das Pessimisten-Hype? An der Boerse ist es immer erst eine Blase/Hype wenn auch der letzte Pessimist long/dabei ist.


@Bedameister Mein Lieblingskickstarter Spiel ist Faster Than Light.

[Worrelix]

Zitat zum Thema:
[...]
Da sollte man den Kontext der Frage aber mitliefern. Spricht er von einem kommerziellen Flop? Oder von einem qualitativen Flop?

In der GS gab's dazu keinen Kontext. Das war ein alleinstehend genanntes Zitat.