Temeter hat geschrieben:@Plor:
Ich hoffe du verzeihst mir, dass ich nicht deinen ganzen Post zitiert habe, das wäre ein wenig eng geworden. Gelesen habe ich aber alles, genauso bezieht sich meine Antwort auf den gesamten Text :wink:
Ihre Spieler-Vergangenheit lasse ich mal außen vor, weil die nichts mit der eigentlichen Aussage zu tun hat. Dein letzter Absatz wirkt ein bischen herablassend im Vergleich zum Rest deines Posts. Denn Absicht und Effekt sind 2 verschiedene Dinge, die je nach Fall anders verlaufen.
Zitate aufräumen ist immer gut. Ich verschachtele jetzt trotzdem wieder.

Stichwort 'herablassend': Sorry, I know. Liegt vielleicht auch daran, dass mir das Thema am Herzen liegt und ich deswegen immer etwas übermütig in die Tasten haue (oft auch angestachelt von Troll-Posts zwischendurch). Ist aber nie böse gemeint und ich versuche es so gut es geht zu reduzieren.
Erstmal gibt es natürlich einen kulturellen Kontext, allerdings ist die Gewalt gegen Frauen in unserem Land eine traurige Randerscheinung, die niemand vernünftiges hier herunterspielen würde. Idioten gibt es überall, aber das betrifft auch beide Geschlechter. Dinge wie Gangsterrap sind deswegen bei einigen Jugendlichen beliebt, die noch ihre Ansichten sortieren müssen, weil es heute ein Tabu ist.
Ein verbreitetes kulturelles Problem ist es mit Sicherheit also nicht. Videospiele sind außerdem eine sehr aktuelle Entwicklung sind, die Lange nach der Emanzipation stattfand. Den Einfluss von Rock n' Roll oder Science Fiction habe sie zum Beispiel nicht, da es eine technische Entwicklung ist. Es ging nicht darum, die Welt zu ändern, sondern neues Spielzeug zu schaffen.
Sarkeesians allerdings spricht von einer Epidemie der Gewalt gegen Frauen, die in unserem Kulturkreis nicht existiert. Darauf baut der eigentliche Vorwurf auf:
"Kultureller Einfluss wirkt auf eine sehr viel subtilere und kompliziertere Art, dennoch haben Medien-Erzählstränge einen mächtigen Kultivierungseffekt, der dabei hilft, kulturelle Verhaltensweisen und Meinungen zu beeinflussen."
Ich denke das Problem ist auch heute noch weitaus stärker, als viele wahrhaben möchten. Es gab zwar - gerade auch Dank des Feminismus - diesbezüglich viele positive Entwicklungen, aber ob Gewalt gegen Frauen dadurch vollkommen zur Randerscheinung geworden ist, würde ich doch in Frage stellen. Offene Gewalt gegen Frauen ist gesellschaftlich mittlerweile geächtet, ändert aber nichts daran, dass sie hinter verschlossenen Türen - auch in unserer westlichen Gesellschaft - noch viel zu oft stattfindet. Teilweise ist das Problem auch in subtilere Formen der psychischen/physischen Unterdrückung übergegangen. Aber teilweise wird sie auch gerade noch in jugendlichen (Sub)-Kulturen offen ausgelebt oder zumindest verherrlicht.
Das ist die weitreichendste Aussage des Videos, die über den Großteil des Videos auf gebaut wurde. Danach geht es hauptsachlich noch kurz darum, dass realistische Frauen nicht das Hauptthema von Spielen sind, die Machtfantasien von 13-jährigen befriedigen sollen. Surprise.
Im Kontext steht vor allem die Aussage: Gewalt gegen Frauen ist eine immer noch bestehende Epidemie, und Spiele sind subtiler, aber mächtiger Einflussfaktor - in einem Video über die Damsel in Distress.
Deswegen bin ich auch auf Propaganda-Verwurf gekommen, weil mächtig und gleichzeitig subtil ist die ideale Version dieser gefährlichen Beeinflussungs-Methode. Man wurde als alter Spieler also immer zu einem Grad beeinflusst, den man nie wahrgenommen hat. Genau auf solche Aussagen können Leute empfindlich reagieren, und dadurch bekommt ihr Video auch so viel Aufmerksamkeit.
Ich finde "Propaganda" ist einfach der falsche Begriff, da Propaganda per Definition immer was Systematisches, Gewolltes besitzt. Sarkeesian betont ja ausdrücklich, dass sie nicht davon ausgeht, dass verschworene Programmierer im kreis zusammensitzen und darüber nachdenken, wie sie Frauen herablassend behandeln können. Als ein wesentliches Problem des Sexismus bezeichnet sie dann auch konsequent, dass er unbeabsichtigt geschieht, sich einfach bei tradierten Bildern und Strukturen bedient, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Und natürlich werden diese Bilder und Stereotype damit auch weitergetragen. Das muss nicht diesen direkten Kausalzusammenhang haben, dass Spieler denken "Ah, Frauen schlagen ist cool.", es genügt schon, wenn es als Normalzustand wahrgenommen und darin eben nicht kritisch hinterfragt wird.
Allerdings fehlt eine Begründung zu diesem Einwurf. Sie spricht vom Einfluss von Medialen Erzählungen, schafft es aber nicht mal, eine explizite Brücke zu Spielen zu schlagen. Davor kommt sogar eine Aussage zu kulturellen Einflüssen, zu ihrem eigenen Argument hat sie aber in etwa so wenig Begründung oder Beleg wie die oft von ahnungslosen Leuten gehörte Aussage, Shooter zu spielen mache gewalttätig. Nicht ein zusätzliches Wort, nur ihre Feststellung. Das Gehirn kann aber zwischen Realität und Film oder Spiel unterscheiden. Nichtmal darüber, wie kann eine Geschichte überhaupt beeinflussen kann.
Naja, die "Shooter-Spielen -> gewalttätig-sein" Kausalität ist natürlich Blödsinn. Das ist klar. Und dass eine direkte"Gewalt gegen Frauen spielen -> Gewalt gegen Frauen ausführen" Kausalität auch Blödsinn ist, betont Sarkeesian ja selbst. Aber, dass Medien, ja auch Video Games, Menschen beeinflussen ist meiner Meinung nach schon eine so offensichtliche Tatsache, dass sie kaum einer weiteren Begründung bedarf. Medien generieren ja automatisch einen kulturellen Kontext, der in einer - ziemlich komplexen - Wechselbeziehung zur Gesellschaft steht; so komplex, dass es tatsächlich schwierig ist, das an einzelnen Phänomenen nachzuweisen, ohne allzu billigen "Killerspieler werden Amokläufer" Kausalitäten zu verfallen. Aber diese Nachweise sind möglich und werden ja auch oft genug von der Kulturwissenschaft betrieben: Btw.: Ich finde es als Videospielfan großartig, dass diese natürlich auch Wirkung auf die Gesellschaft haben können.
Aber um nicht zu abstrakt zu werden, das lässt sich ja durchaus an einzelnen Phänomenen belegen: z.B. dass Gamification gerade ein sehr heißes Thema in der Pädagogik und Didaktik ist. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die ganze Videospielkultur erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Musik seit den 80er Jahren hatte. Meinetwegen kann man auch darüber nachdenken, wie MMORPG soziales Verhalten beeinflussen, wie sich Ego Shooter auf Gewaltbereitschaft auswirken, wie Puzzlegames das Denken verändern, welche Auswirkungen Strategiespiele auf Konfliktlösungsstrategien haben, wie bestimmte Videospielfiguren als Role Models funktionieren, wie ein Bioshock das Verhältnis zu Fortschritt und Technik verändert, wie Street Brawler bestimmte Männlichkeitsvorstellungen transportieren, wie ein Lucas Arts Adventure Humorvorstellungen beeinflusst etc. pp. Alles spannende Fragestellungen, wenn du mich fragst. Und es spräche nichts dagegen diese anzugehen.
In Filmen, Comics und Büchern hat man die Damsel in Distress seit ewigen Zeiten, und sie ist auch immer noch ein wiederkehrendes Motiv. Allerdings ist die kulturelle Entwicklung konträr in Richtung Gleichberechtigung, obwohl Sarkeesian von einer Epidemie spricht.
Ohne allzu pathetisch zu werden: Die positive Entwicklung beim Thema Gleichberechtigung wäre höchstwahrscheinlich weitaus schneller, wenn Klischees und Sexismus in Medien nicht so häufig unbewusst tradiert werden würden. Genau das ist ja ein Grund, warum Sarkeesian diese kritisch reflektiert und warum ihre Analyse eine Berechtigung hat.
Selbst der Einfluss dieser Geschichten ist schwer festzustellen, wie sieht das dann wohl bei einem Medium aus, bei dem Stories an letzter Stelle der Prioritätenliste stehen? Diese Klischees sind nur dort, weil von Anfang an niemand der Geschichte genug Aufmerksamkeit schenkt.
Die Story ist in den letzten Jahren bei Videospielen immer wesentlicher geworden, bis hin zum Versuch narrativ komplett an Filme anschließen zu können. Selbst Mario-Spiele bekommen (verhältnismäßig) komplexere Geschichten spendiert. Gerade angesichts dieser Tatsache ist es doch erstaunlich, dass immer noch so oft auf Damsel- und artverwandte Geschichten zurückgegriffen wird, dass Frauenfiguren so oft verheizt werden, um dem männlichen Helden eine Motivation und ein Ziel zu geben.
Deswegen halte ich das für einen kalkulierten Einwurf, der ihr auf jeden Fall finanziell sehr weiterhelfen wird. So eine Aussage ist ein hartes Stück, da sie anscheinend Erfahrung mit diesen Videos hat, muss sie sich der Konsequenzen bewusst sein. Die Feststellung der Beeinflussung alleine ist niemals genug. Die völlige Ignoranz von diesem Thema ist entweder Dummheit - und das bezweifle ich - oder klar berechnet.
Du meinst, sie provoziert um Geld zu verdienen? Das ist schon ein ziemlich heftiger Vorwurf. Zumal sie jeden auch nur potentiellen Anflug von Radikalität in ihren Thesen relativiert ("Ich liebe Videospiele", "Es ist keine direkte Kausalität", "Es ist komplexer"), imho also alles andere als auf Konfrontation gebürstet ist.