Neversoft hat geschrieben:Für mich ist die Frage nicht wohin sondern wieweit Videospiele gehen werden. Wen sich jede Generation in Sachen Technik verbessert wird Fotorealismus bald erreicht werden, keine Frage, doch was dann?
Fotorealismus ist nicht so einfach zu erreichen, wie man glauben mag. Das zeigen Renderfilme sehr gut. Bei solchen Filmen steht für jedes Einzelbild eine enorme Rechenpower zur Verfügung, zudem kann mehrere Stunden an einem einzigen Bild gerechnet werden, während Spiele in Echtzeit berechnet werden, d. h. mindestens 20 bis 30 Bilder müssen pro Sekunde gerendert werden.
Technische Gegenstände und Gebäude können schon seit den 90ern fotorealistisch in Echtzeit gerendert werden, Vegetation und Gelände seit wenigen Jahren und Lebewesen außer Menschen seit kurzem. Doch einen Menschen realistisch zu animieren ist enorm schwierig. Mittlerweile ist es durch mehrere halbtransparente und dabei hochaufgelöste Texturschichten, die Verwendung künstlicher Knochen (seit den 70ern vorgerendert, seit den 90ern in Games) und künstlicher Muskeln (eingeführt in den frühen 90ern, in Echtzeit seit
Half Life 2) in Verbindung mit möglichst hohen Polygonzahlen möglich, zumindest im Stand glaubwürdige Menschen zu kreieren.
Das Baby aus Pixars Kurzfilm Tin Toy war der erste angestrebt fotorealistische Mensch in einem Film. Tin Toy erschien 1988, seitdem hat sich viel getan.
Sobald diese aber den Mund aufmachen, ist es jedoch mit der Glaubwürdigkeit vorbei. Diesen Effekt haben schon die Puppen- und Roboterbauer des 18. Jahrhunderts beobachtet, als man hochkomplexe mechanische Menschen zu Unterhaltungszwecken erfand, beispielsweise funktionierende künstliche Musiker, den berühmten "Türken" (scheinbar ein Schachautomat), einen Schreiber, usw. Diese per Uhrwerk angetriebenen Roboter wurden gefeiert, aber gleichzeitig wegen ihrer Künstlichkeit gefürchtet. Ab einem bestimmten Punkt war es immer möglich, sie anhand ihrer unnatürlichen Bewegungsabläufe als Maschinen zu identifizieren. Dies ist anscheinend ein Schutzeffekt, den der Mensch hat, um sich vor etwaigen getarnten Feinden oder ähnlichem zu schützen. In der Psychologie wird dies als
Uncanny Valley Hypothese bezeichnet.
Dieser Entfremdungseffekt hat beispielsweise auch Kritiker des Films
Final Fantasy - Die Mächte in dir beeinflusst, die die im Film dargestellten Menschen als tot und künstlich verdammten. Dies war 2001 der erste Animationsfilm in Spielfilmlänge mit menschlichen Charakteren im Fokus.
Dr. Sid aus Final Fantasy. Als Standbild ebenso glaubwürdig wie menschlich. Die Illusion löst sich allerdings in Luft auf, wenn sich die Figur bewegt oder spricht.
Wenn man sich nun Standbilder dieses Films anschaut, dann wirken die dargestellten Charaktere absolut fotorealistisch. Sieht man sie jedoch im Film in Bewegung, ist die Illusion dahin. Es gibt verschiedene Methoden, sich diesem Problem zu nähern. Der klassische Ansatz ist die Animation von Hand, was bei den grundsätzlichen Bewegungsabläufen wie Laufen, Springen, und Gestik durchaus glaubwürdig funktionieren kann.
Problematisch wird es beim Gesicht. Alleine die Darstellung der Augen kann über Gelingen und Scheitern der Illusion entscheiden, so sehr sind wir geschult, auf feine Details zu achten. In
Half Life 2 wurden erstmals realistische Augenbewegungen und Dinge wie Fokus, Aufmerksamkeit u. ä. berücksichtigt. Die vielen anderen komplexen Details können kaum von Hand animiert werden. Eine Methode ist Stimmerkennung und die anschließende automatische Erzeugung von Animationen, welche dann durch zusätzliche Mimik angereichert werden. Die Entwickler von Fahrenheit verwendeten einen Motion Capturing Handschuh und bewegten dann die Finger, wobei jeder Finger eine bestimmten Muskelgruppe des Gesichtes steuerte.
Motion Capturing ist ein wichtiges Stichwort. Dieses Verfahren hat in den letzten Jahren in großem Maße an Bedeutung gewonnen und ist gerade bei Produktionen mit großem Budget eine zeitsparende Animationsmethode. Reale Schauspieler in speziellen bewegungserfassenden Anzügen oder mit Markern an den wichtigsten Körperteilen, welche von Infrarotkameras erfasst werden oder selbst Daten senden, führen dabei die Bewegungen der Film- oder Videospielhelden aus. Fahrenheit von Quantic Dream setzte in dieser Hinsicht Maßstäbe. Dieses
Making Of Video, das im Bonusmaterial des Spiels zu finden ist, zeigt den nötigen hohen Aufwand. Lange Zeit waren die Marker zu groß, um im Gesicht zum Einsatz zu kommen.
Robert Zemeckis hat mit den drei Filmen
Der Polarexpress, Beowulf und jetzt neu
Eine Weihnachtsgeschichte eine neue Motion-Capturing Methode etabliert, bei der Miniaturmarker im Gesicht der Schauspieler zusätzlich zu den konventionellen Markern verwendet werden. Damit sind erstmals glaubwürdig animierte Gesichter möglich.
Die großen weißen Bälle an der Mütze, dem Anzug und dem Handschuh von Tom Hanks sind die gewöhnlichen, bisher meist verwendeten Mo-Cap-Marker. Die kaum erkennbaren kleinen Punkte im Gesicht ermöglichen eine exakte Übertragung der Gesichtsausdrücke auf digitale Figuren.
In
Der Polarexpress war die zur Verfügung stehende Rechenleistung noch zu gering, weswegen es an Details fehlt und der ganze Film wie durch eine Weichzeichnerlinse aufgenommen wirkt. In
Beowulf machte man den Fehler, Gesichter und Körper zu stark glänzen zu lassen, was den berühmt-berüchtigten Plastikpuppeneffekt (bekannt z. B. aus Doom 3) erzeugte. Der jüngste Film von Zemeckis vermeidet zwar diese Fehler, setzt aber bewusst auf das Stilmittel leicht überzeichneter Proportionen, was den Eindruck des Fotorealismus wiederum zerstört, gleichzeitig aber den gefürchteten Entfremdungseffekt reduziert, der sonst beim Zuschauer zu großem Unwohlsein oder gar offener Ablehnung führen kann.
Stilmittel ist ein wichtiges Stichwort. Wirklicher Fotorealismus ist nach dem ersten Wow langweilig, da man alles ja schon irgendwie aus der Realität kennt. Wirklich erstrebenswert ist er nur für die Spezialeffekte von Filmen, die möglichst nahtlos und unentdeckbar mit den realen Szenen verschmelzen sollen. Für viel erstrebenswerter halte ich die Gestaltung eigener kreativer Welten. Je mehr Rechenleistung und Technologie dabei zur Verfügung stehen, desto weniger wird die künstlerische Freiheit von technischen Limitierungen beeinträchtigt. Spiele wie das ungeliebte letzte Prince of Persia demonstrieren, wohin die Entwicklung gehen muss.
Ein Vorbild für die gesamte Branche?
Um glaubwürdige Welten zu erzeugen, ist jedoch nicht nur eine möglichst perfekte Grafik vonnöten. Der Sound spielt eine ebenso große Rolle. Hier sind aber nahezu alle Probleme schon gelöst, das Speichern und Abspielen klarer Tonaufnahmen ist schon seit Jahren kein Problem mehr, ebenso Raumklang, wobei die zugrunde liegenden Technologien sich kontinuierlich weiterentwickeln.
Neben Grafik und Sound sind aber auch realistisch reagierende Spielwelten wichtig, damit die Illusion nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Gegenstände müssen sich bewegen, wenn sie angestoßen werden (seit
Half Life 2 und
Max Payne 2 genreüblich), Vegetation, Terrain, Gebäude und Gegner sollten auf Gewalteinwirkung glaubwürdig reagieren, also sich abknicken, verformen, zusammenfallen oder realistisch in sich zusammensacken. Gegenwärtig sind starre Levels aber noch üblich, auch wenn Titel wie
Battlefield: Bad Company (in Ansätzen),
Red Faction und
Crysis die Marschrichtung aufzeigen.
Nordkoreanische Blechhütten können den Überkrieger aus Crysis nicht aufhalten. Leider ist bei aller technischen Brillanz des Titels aus den inhaltlichen Versprechungen nicht viel geworden. So sollte man ursprünglich sich später mit den Koreanern gegen die Aliens verbünden können. Die Nordkoreaner sollten einem dann, abhängig von der Vorgehensweise gegen ihre Truppen zuvor, unterschiedlich viel Unterstützung und Sympathie zukommen lassen. Nichts von alledem wurde realisiert.
Doch bisher würde auch ein Spiel, das alle oben genannten Aspekte in Perfektion beinhaltet nicht vollkommen glaubwürdig sein. Entscheidend ist die Anzahl der Interaktionsmöglichkeiten. Kaum ein Titel unterstützt beispielsweise Spracheingaben. Wenn überhaupt, dann kann man aus einer Liste vorgegebener Kommandos oder Gesprächsoptionen auswählen, aber nicht selbst mit Charakteren aus dem Spiel kommunizieren. Das Echtzeitstrategiespiel
Endwar von Ubisoft besitzt als eines der ersten kommerziellen Games eine primitive Möglichkeit der Spracheingabe, die aber auf simple Befehle wie "Einheit 3, greife Gegner 4 an" beschränkt ist und keinerlei Semantikerkennung besitzt.
Ein bescheidener Anfang. Funktioniert zwar relativ zuverlässig, ist aber in jeder Hinsicht beschränkt. Das Spiel ist sogar wegen der Limitierungen des Steuerungskonzeptes in seiner Komplexität reduziert worden.
Wohin die Entwicklung gehen wird, das zeigt der sehr ungewöhnliche Indie-Titel
Façade. Er verfügt über keine Stimmenerkennung, man kann aber mittels eines Textparsers mit den Charakteren kommunizieren. Anders als gewohnt gibt es keine Liste an Antwortmöglichkeiten, stattdessen ist man vollkommen frei in der Art, wie man mit den Spielfiguren interagiert. Diese antworten dann mit gesprochener Sprache auf die Kommentare, den Lob, den Tadel des Spielers und haschen nach seiner Aufmerksamkeit.
Reinschauen lohnt sich. Ich habe dieses einzigartige Spiels hier schon einige Male empfohlen. Wer einen Blick in die Zukunft der Branche werfen will und sich von der primitiven Grafik, die in der Entwicklung keine Rolle spielte, nicht abschrecken lässt, sollte sich
Façade einmal ansehen.
Trip und Grace sind die beiden Protagonisten von Façade, ein junges Ehepaar mit scheinbar perfekter Beziehung. Der Spieler ist zu einem lockeren Abend bei den beiden eingeladen und merkt recht schnell, dass einiges im Argen liegt. Der Titel ist Programm! Abhängig von dem, was man sagt, findet das Pährchen wieder zusammen, zerstreitet sich, oder schmeißt einen gar achtkantig raus...
Man stelle sich ein Rollenspiel wie
Dragon Age mit Stimmerkennung, einer Kamera wie bei Microsofts Natal (das
Vorschauvideo haut mich immer noch jedes Mal trotz enormen Kitschfaktors von den Socken!) mit Körper- und Bewegungserkennung und einer Spielwelt, die glaubwürdig auf die gesagte Sprache und die getätigten Aktionen reagiert. Das kommende
Milo, typisch für Peter Molyneux hochambitioniert, verspricht eine solche Erfahrung. Es wird sich zeigen, ob der berühmte Entwickler einmal mehr den Mund etwas zu voll genommen hat. Ich habe Zweifel, dass das, was in dem
E3-Video gezeigt wurde, heute schon möglich ist.
Das Video ist offensichtlich gestellt. Wie viel von dem Gezeigten ist tatsächlich möglich und welche Freiheiten genießt der Spieler, werden ihm von den Entwicklern gewährt?
In einigen Jahren wird die Technologie definitiv exisiteren. Nie mehr wird man dann aus vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wählen müssen, sondern kann seine ganz eigenen Geschichten schreiben. Erstmals wären echte Rollenspiele möglich, in denen man selbst Entscheidungen fällt und nicht bloß aus den drei Möglichkeiten auswählt, die der Entwickler bereit war, einem zu geben.
Du hast gefragt, was kommen wird, nachdem der Fotorealismus erreicht wurde. Nach dem Fotorealismus kommt die Interaktion. Interaktion, die nicht mehr den Umweg über Knöpfe, Hebel und Mäuse nehmen muss. In wenigen Jahren wird es normal sein, wie in Star Trek zu seinem PC, seiner Videospielkonsole oder welchem System auch immer, das sich dann durchgesetzt hat, zu sprechen. Dies wird konventionelle Eingabemöglichkeiten keineswegs endgültig ersetzen, sie aber sinnvoll ergänzen. Vielleicht überlegt man sich dann genauer, was man so alles für Flüche bei einem Programmabsturz ausstößt...
Die Zukunft?
Nun braucht man nur noch diese ganzen genannten Technologien kombinieren und mit Dingen wie 3D-Displays, später 3D-Hologrammen und gerade im frühesten Prototypenstadium steckenden Dingen wie
Ultraschallhaptik anreichern. Und schon ist man nach einigen Jahrzehnten beim ultimativen Endziel aller genannten Bestrebungen und Entwicklungen: Dem Holodeck.
Die Zukunft!
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FAQ als Interview:
Reporter (mit sensationsheischender Stimme):
Wir sind hier bei dem ominösen Forenschreiber, der sich hinter dem Pseudonym DdCno1 (was'n Krampf) verbirgt und die Forenwelt einiger Zeit mit ebenso ungewöhnlich langen wie langweiligen Texten mehr oder weniger in Atem hält. Nach monatelanger Suche gelang es uns, seinen geheimen Wohnort aufzuspüren. Eine Voraussetzung für dieses Interview war die Geheimhaltung dieses Ortes, weswegen unsere geneigten Zuschauer wohl noch ein (kleines) Weilchen auf diese Enthüllung warten müssen.
Frage: Sind Sie verrückt, schon wieder so einen langen Text zu schreiben?
Antwort: Ja, ich bin wohl verrückt. Muss ... Dosis ... erhöhen. Höhö!
Der Interviewte rupft mit einem irren Grinsen auf dem Gesicht an einem schon fast kahlen, zitternden und wimmernden Hamster auf seinem Schoß.
(Ungeduldig) Noch Fragen?
F: Ja. Macht Ihnen das Spaß oder warum schreiben Sie unbezahlt so viel?
A: Mir macht das unheimlich viel Spaß. In der Schule habe ich nichts lieber gemacht, als Geschichten und Aufsätze zu schreiben. Leider ist meine Kreativität arg begrenzt, weswegen ich auf Sachtexte umgeschwenkt bin.
Ein lautes Glucksen ist zu vernehmen.
F: Wie lange hat's denn diesmal gedauert?
A: Ungefähr 1 3/4 Stunden. Inkl. dem Anschauen von den im Text verlinkten Videos und kleineren Ablenkungen.
Der Hamster landet in hohem Bogen in einer anderen Ecke des kahlen Zimmers. Mühsam schleppt er sich unter eine Kommode.
F: Sind Sie Trekkie?
A: Alles, nur das nicht! Aber ich liebe das Holodeck. Tolle Idee. Ich würde solch ein Unterhaltungsmedium noch gerne zu meinen Lebzeiten nutzen können. Man denke nur an die Möglichkeiten. Kein Mensch bräuchte mehr P..., ähh, tschuldigung. Die Chancen dafür stehen aber zugegebenermaßen relativ schlecht. Muss mehr Gemüse essen, vielleicht lebe ich dann lange genug...
F: Na, Professor, schreibste an deiner Doktorarbeit?
A: Was? Wie?
Springt auf und reißt sich die Brille von der Nase.
Wie ist denn der Niggel hier reingekommen? Du sollst gefälligst *zensiert* *zensiert* *zensiert* und kannst mich mal kreuzweise *zensiert* *zensiert* *zensiert*!
"DdCno1" zeigt sich sichtlich erregt, mehrere kleinere Möbelstücke und Nager fallen seinem plötzlichem Wutausbruch zum Opfer.
F: (Von hinter dem Sofa, mit leiser Stimme) Äh, war nur ein Scherz, wirklich! Kommt nie wieder vor! Sie mögen ihn wohl nicht? Soll ich ihm was ausrichten?
A: (Mit hochrotem Kopf) Ja, er soll *zensiert* *zensiert* *zensiert* und seine Mutter *zensiert* *zensiert* *zensiert*!!!
F: Äh, ja. Vielen Dank soweit! Verehrte Zuschauer, wir verabschieden uns damit für heute von Ihnen und - Hey! Was machen Sie da mit der Lampe? Nein, nicht werfen! Hil...