Krulemuk hat geschrieben: ↑08.01.2019 14:44Shadow of the Colossus besticht durch sein reduziertes Gamedesign und hält dem Spieler mit seiner Botschaft eiskalt den Spiegel vor. Das ist eine ganz andere Hausnummer als ein zielgruppengetestetes AAA-Spiel wie RDR2. Es hat einen Grund, warum dieses Spiel in allen Studiengängen, die sich mit Gamedesign beschäftigen, auf dem Lehrplan steht.
Ok, davon das SotC fest auf dem Lehrplan steht, höre ich jetzt zum ersten Mal. Wäre aber natürlich nicht schlecht, wenn das Spiel dort auch analysiert bzw. thematisiert werden würde
Krulemuk hat geschrieben: ↑08.01.2019 14:44
SotC war eines der ersten Story Telling Experimente und ist einfach ein modernes Kunstwerk - ganz unabhängig davon, wieviel Spaß man nun daran haben mag die Kolosse zu töten (Ich bin persönlich auch nicht der größte Fan von dem Spiel). Entfernt erinnert es in seiner Botschaft an die Stanley Parable. Und unabhängig davon, ob man SotC in seinem Konservativismus nun als "Spiel" bezeichnet oder nicht, ist diese Art von "erfahrbarem" Story Telling eben nur im Medium Videospiel möglich. Nicht im Film. Nicht in Büchern.
Das verstehe ich auch. Ich würde auch solche Spiele auch absolut nicht verteufeln. Dennoch bleibt meine Aussage bestehen: Der Dreh- und Angelpunkt eines Videospiels sind die Regeln mit denen das Spiel gespielt wird. Diese entscheiden maßgeblich ob das Spiel Spaß macht oder nicht. Das lässt sich auf alle Arten von Spielen übertragen.
Sobald aber eine bewusste Reduktion dieser Elemente vorgenommen wird, muss man mMn kritisch hinterfragen, ob dies in das Konzept des Spiels passt, ob das reduzierte GameDesign hier eine eigene Art von Spielerfahrung bietet und somit diese Design-Entscheidung gerechtfertigt ist. Ich will SotC nicht abschließend bewerten, weil ich das Spiel nicht durchgespielt habe. Aber: Ein wichtiges, sehr zentrales Element eines jeden Videospiels ist die Motivation. Ein Spiel kann noch so monumental sein, noch so überaus komplex oder tiefgründig, noch so actionreich, brachial und bildgewaltig. Wenn ein Spiel es nicht schafft, die Spielermotivation zu wecken und auch aufrecht zu erhalten, dann gibt es einen objektiv messbaren Fehler im Design. Als Entwickler muss man immer die Frage beantworten: "Warum sollte der Spieler mein Spiel spielen?" Das wäre die Frage nach der Grundmotivation. Und die zweite Frage ist: "Warum sollte der Spieler sich für das Geschehen in meinem Spiel interessieren?" Welche Art und Form von Motivation man nutzt, bleibt dem Entwickler und dem Künstler selbst überlassen. Aber er braucht ein Konzept, das funktioniert. Bei SotC fehlt dieses Konzept mMn oder zumindest scheitert es, inder Aufrechterhaltung der Motivation. Und das kann ich bewerten, gerade weil ich nach dem 5. Boss die Motivation verloren habe. Jetzt könnte man sagen: "Na und? Ist doch nur deine eigene Meinung!" Das stimmt aber nur max. zu 50%. Denn es lassen sich objektive Argumente finden, warum SotC dieses Motivationsproblem erzeugt. Das es auch Leute gibt, denen die Grundmotivation gereicht hat, ist unbestritten. Das allein reicht aber als Argument nicht aus.
SotC und alle anderen Spiele dieser Art erwarten vom Spieler eine intrinsische Motivation ohne dafür eine Belohnung zu liefern. Es wird erwartet, dass man eine repetitive Aufgabe wiederholt und sich an der Monumentalität kontextloser Bauten und steriler, lebloser Levelgestaltung eine eigene Interpretation zusammendenkt. Stichwort "environmental Storytelling" das ich ja schon häufiger sehr stark kritisiert habe. Diese Art der Erzählung ist zweifelsfrei ein interessanter Ansatz für ein Kunstwerk. Für ein Unterhaltungsprodukt ist es hingegen ungeeignet. Eine multimediale Installation in einem Digital Art Museum wäre hier ebenfalls eine bessere Bühne gewesen und hätte in seiner Form sicher deutlich mehr wirken können. Wenn ich aber ein Videospiel entwickle, dann erwartet der Spieler, dass mich das Produkt unterhält. Es ist einer der Grundlagen modernen Game Designs, dass das Spiel den Spieler motiviert, nicht andersherum. SotC erwartet aber, dass sich der Spieler für etwas motiviert, ohne das das Spiel ihm dafür aber wirklich etwas gibt. Es kommuniziert nicht, warum man herumreiten soll, warum man Kolosse töten soll(abgesehen von der Grundmotivation wie gesagt!), es baut keine emotionale Bindung auf, des schafft es nicht, mich emotional zu involvieren. Es gibt keine Motivationsschleife, keine Motivationselemente, außer der bloßen Tatsache, dass man einen Boss besiegt hat. Ich erkenne SotC als experimentelles Multimedia-Produkt an, es fehlt mir aber eine Menge um es "Spiel" zu nennen. Es spricht nicht jene an, die "spielen" wollen, es spricht jene an die "Kunst" konsumieren wollen, die eine Installation aus künstlerischen Gesichtspunkten erleben und wahrnehmen wollen. Das ist vollkommen in Ordnung, mehr sogar. Es erweitert die digitale Landschaft um virtuelle Welten, die nicht zum Zweck von Unterhaltung alleine geschaffen werden. Aber diesen Anspruch an Kunst muss ein Videospiel nicht erfüllen. Ebenso wenig wie den Anspruch nach pädagogischen,kulturellen oder politisch bildenden Elementen. Ein Spiel KANN solche Elemente enthalten, muss es aber nicht. Dennoch muss mMn ein Produkt danach bewertet werden, als was es sich einordnet. Und SotC will ein "Spiel" sein, keine Kunst-Installation. Und aus dem Gesichtspunkt eines Spiels fällt es durch, weil es nicht schafft, Spielermotivation aufzubauen, weil es nicht schafft, Kontext herzustellen, weil es erwartet, dass die kontextuelle Einordnung des Gezeigten durch den Spieler geschiet. Weil es repetitive Elemente anbietet, die in keiner Weise durch irgendetwas aufgelockert werden oder anderweitig in Beziehung gesetzt werden, sodass dem Spieler klar wird, warum er durch eine öde, leblose Landschaft wandert. Dies ist eine beständige Quelle für Langeweile. Auch hier erwartet das Spiel vom Spieler, dass er diesen Kontext herstellt und sich selbst motiviert. Und hier kommen wir dann dazu, wo wir das "Spiel"-gefilde verlassen und zum "Kunst"-Gefilde übergehen: Diese Repetitivität wird zur Kunst erhoben und gefeiert. Aber eben für seine künstlerische Aussage, nicht für seine spielerische Relevanz. Aber dieser Unterschied wird oft nicht klar kommuniziert. Man vermischt hier das Wirken des Spiels mit dem Wirken als Kunstwerk und macht dann daraus ein "spielerisches Meisterwerk". Es ist aber kein spielerisches Meisterwerk, weil der spielerische Anteil nicht meisterhaft umgesetzt wurde. Das was meisterlich umgesetzt wurde, ist die künstlerische Vision. SotC mag ein großartiges multimediales Produkt sein, wenn man es als interaktives künstlerisches Werk betrachet. Als Spiel fällt es aber, ich wiederhole mich, gnadenlos durch. Und nochmal muss ich mich wiederholen: Es hat nichts mir "Konservativismus" zu tun, SotC zu bescheinigen, dass es als Spiel durchfällt. Es hat viel mehr etwas mit der Frage zu tun, wie sinnvoll es ist, alle multimedialen Produkte automatisch Spiel zu nennen, weil sie nicht 100%tig linear ablaufen, bzw. linear konsumiert werden, wie es bei Filme und Büchern der Fall ist.
Das ist mMn der fehlende Blick über den Tellerrand. Man kann sich keine multimedialen, interaktiven Produkte vorstellen, die KEINE Spiele sind und auch KEINE sein wollen. Ob Team ICO wirklich ein Spiel im Sinn hatte oder tatsächlich eine interaktive Kunst-Kulisse schaffen wollten, weiß ich nicht. Ich finde aber die Vorgehensweise falsch, etwas als "Blick über den Tellerrand" zu bezeichnen, wenn man ein Produkt nicht für das bewertet was es sein will. SotC will ein Spiel sein, ebenso wie RDR2 ein Spiel sein will. Es ist natürlich großartig, wenn beide Spiele darüber hinaus noch etwas bieten, aber wenn sie "nur" dieses "Darüberhinaus" bieten und in ihrem Kern als Spiel versagen, dann ist es eine fragwürdige Vorgehensweise den "Spiel"-Anteil fallen zu lassen und das Spiel aufgrund sekundärer Eigenschaften als Spiele-Meisterwerk zu bezeichnen.
Krulemuk hat geschrieben: ↑08.01.2019 14:44
Es ist positiv, dass sich das Medium erweitert und um neue Aspekte bereichert wird. Ein interaktiver Film, der in 10-15h eine tolle Geschichte inszeniert, ist doch keine Gefahr für die konventionelle Spielerfahrung (SotC würde ich ausdrücklich nicht zu diesem Genre zählen).
Es ist keine Gefahr. Korrekt. Was die Gefahr darstellt ist die Verwässerung von dem, was die Allgemeinheit als "Spiel" wahrnimmt. Das für dann leider dazu, dass man den Kern des Spiels bzw. des interaktiven Mediums an sich, vernachlässigt und somit das, was das Medium einzigartig macht, nicht ausschöpft sondern sich auf oberflächliches Button-Mashing und "Press X for AWESOME!"-Buttons beschränkt.
Diese Meinung vertreten übrigens auch angesehene Game Designer, unter anderem "Chris Crawford" der darüber ganze Bücher geschrieben hat. Nur um vllt. auch klarzumachen, dass ich hier keine vollkommen abwegige These vertrete sondern eine, die auch von erfahrenen Designern der Branche geteilt wird.
Krulemuk hat geschrieben: ↑08.01.2019 14:44Gott sei dank wird dieses Problem ganz gut vom Indi-Bereich abgemildert. Ich fühle mich und meinen Spielegeschmack nach wie vor sehr gut bedient - auch wenn ich mit den großen westlichen AAA-Produktionen nicht mehr so viel anfangen kann.
Absolut. Gott sei Dank, dass es die Indie-Szene gibt. Ich hatte nur bisher immer gedacht, dass 4P eine eher kritische EInstellung zu Mainstream-Trends einnimmt. Betonung liegt hier auf "kritisch" nicht auf "generell negativ" oder "generell dagegen". Es geht um die Frage, ob und in wie weit das Spieldesign Spaß macht und ob es den Geschmack von Spielern trifft. Bei RDR2 habe ich leider das Gefühl, dass Jörg die historische Monumentalität so hoch priorisiert, dass für ihn spielerische Überlegungen keine oder nur eine arg untergeordnete Rolle spielt. Ich sehe das kritisch. Ich verstehe absolut, dass für Jörg da die Prioritäten liegen. Vor allem aus persönlichen und beruflichen Gründen. Ich denke aber als Spielemagazin sollte der Fokus auf das Spiel liegen. "Über den Tellerand schauen" -> Absolut! Nur beim Blick über den Tellerand nicht das vergessen, wofür der Teller gedacht ist: Für die sättigende Mahlzeit, die man verzehrt. Und das ist eben nicht die künstlerische oder monumentale Inszenierung, sondern das Gameplay.
MfG Ska