Aber natürlich spielt es eine Rolle, was DU als Geschädigter erwarten würdest. Nicht im individuellen Sinne und in jedem Einzelfall. Aber gesamtgesellschaftlich. Stell dir ein Rechtssystem vor, dass völlig am Gerechtigkeitsempfinden der absoluten Mehrheit vorbeigehen würde - wie stabil wäre das? Wie häufig wären dann Fälle von Selbstjustiz, wenn man nicht mehr erwarten kann, dass der Staat zumindest via Gefängnis straft? Was würde vor allem mich dann davon abhalten, den Vergewaltiger meiner Tochter zu töten, wenn ich selbst dafür auch nicht bestraft würde?Usul hat geschrieben: ↑19.06.2020 15:35Vorab: Ich bin kein Jurist.Sinatra hat geschrieben: ↑19.06.2020 15:29Diebstahl ist da kein besonders gutes Beispiel, weil es idR ein eher unemotionales Vergehen ist. Wie würde es denn ausschauen, wenn jemand deine Tochter vergewaltigen und töten würde? Wäre es dann auch ok, wenn dem Täter nur gesagt wird, dass das so aber echt nicht geht und er eine Therapie machen soll? Oder hättest du nicht ganz eventuell auch das Bedürfnis, dass er für seine Tat ebenfalls leidet?
Aber: Die Frage, was ICH als Geschädigter, vor allem bei solch dramatischen Straftaten, gerne hätte, kann doch aber auch nicht ausschlaggebend sein für die Urteilsfindung. Ich z.B. würde den Vergewaltiger am liebsten tot sehen - aber das sind meine persönlichen Rachegelüste. In den meisten Fällen sind diese Rachegelüste nicht einmal opferbezogen, sondern die Angehörigen verarbeiten damit ihre eigene Wut und Hilflosigkeit, während das Opfer das nicht unbedingt so sieht... bzw. oftmals so traumatisiert ist, daß solche Gedanken vorerst gar nicht aufkommen.
Von daher finde ich diese Argumentationsweise im Hinblick auf "Rache" seltsam.
Das ist ein Aspekt der, zugegebenermaßen, auch von Juristen oft übersehen wird. Rechtssysteme funktionieren nicht im luftleeren Raum und können nicht allein von ihrer guten Systematik leben. Jedes Rechtssystem braucht zuvorderst die Akzeptanz der Bevölkerung, fällt sie weg, ist jedes Recht ohne Belang.