Ultima89 hat geschrieben: ↑08.07.2020 21:11
Nur mal ne Frage: Wir zur Hölle merkt man sich chinesische Schriftzeichen? Das Zeichen für Liebe würde ich bei "Wer wird Millionär" erkennen, wenn es iRd Multiple Choice- Antworten auftauchen würde. Aber obwohl ich privat jeden Tag draufschaue, könnte ich nur den oberen Strich und die drei darunter setzen. Alles darunter kann ich mir nicht merken. Ich kann also noch nicht mal ein Zeichen behalten. Mit den japanischen Schriftzeichen hab ich keine Probleme, zumindest, wenn es ums erkennen geht. Aber chinesisch...
Kurzum: Kann man sich das entweder merken oder nicht .... oder gibt es einen Trick, sich diese Ansammlung aus Strichen zu behalten?
Meinst du mit "Japanischen Schriftzeichen" Hiragana und Katakana? Die beiden sind größtenteils wirklich nur Fleiß, 1-2 Wochen täglich 30 Minuten lernen mit irgendeiner der Millionen freien Apps und Schrifttraining und das sollte drin seien. Aber du schreibst ja auch, dass die laufen.
Mit "Chinesischen Schriftzeichen" meinst du dann Kanji? Sowohl Kanji, Hiragana und Katakana sind japanische Schriftzeichen (die Kanji sind _nicht!_ diesselben Zeichen, die Mandarin benutzt (Hanzi), auch wenn es viele Überschneidungen gibt).
Kanji (und Hiragana und Katakana) sind aus chinesischen Schriftzeichen entstanden, heutzutage sind die jedoch getrennt (again, auch wenn es Überschneidungen gibt).
Japanisch benutzt insgesamt 2136 so genannte Jouyou Kanji, das sind die offiziellen Kanji, die in der Schule gelehrt werden und die von jeder Japaner erwartet werden, dass er sie kann. Diese muss auch eine Studentin des Japanischen lernen.
Die Japanischen Kinder haben dafür normalerweise die gesamte Schulzeit Zeit, meist durch endlose Wiederholungen und Schreibübungen. Wenn man die Kanji lernen möchte gibt es imho nur einen Weg, den man einschlagen kann und sane bleiben:
SRS = Spaced Repetition System. Manchmal auch Karteikartensystem genannt. Das ganze verbunden mit mnemonischen Konstrukten + einen "logischen" Aufbau der Kanjis.
Was heißt das nun?
(a) Man lernt nicht wahllos Kanji, sondern hat sie vorsortiert von einfach (= wenig Striche) zu komplexen (= viele Striche). Dabei lernt man erst die einfachen mittels des SRS und aufbauend auf diesen dann die komplexen als Zusammensetzungen von einfachen.
(Achtung: Das ist natürlich sprachlich Müll. Zwar haben Kanji sprachtheoretisch auch Radikale, Komponenten aus denen diese bestehen, diese sind hier aber nicht gemeint. Hier geht es rein um das visuelle als Krücke zur Brückenbildung im Gehirn um sich die Zeichen besser merken zu können).
Zusätzlich benutzt man Mnemonics, kleine Geschichten als zusätzliche Krücke, um die Bedeutung und Aussprache der Kanji im Kopf zu verankern.
Eine Option ist es
Anki zu nehmen und eins der vielen, guten, vorgefertigten Japanischen Decks zum Kanji lernen. Noch besser ist es, die Cards sich selbst zu erstellen und nur den Note-Type zu klauen.
Oder man nimmt etwas Geld in die Hand und benutzt
Wanikani, ein kommerzieller Service, der Kanji lernen gamifiziert und genau auf dem Prinzip von SRS und erst einfache und darauf aufbauend komplexe Kanji basiert - zusätzlich gespickt mit Mnemonics und einer tollen Community, die viele tolle Erweiterungen für die Website schrieb.
Die ersten drei Level (von 60) bei Wanikani sind gratis zum ausprobieren.
(Disclaimer: Ich benutze Wanikani und Anki).
Achtung: All das _ermöglicht_ imho ein "einfacheres" Kanji lernen, Kanji lernen ist aber immer noch harte Arbeit und schwer, es braucht täglich 30-60 Minuten an Zeit (_nur_ Kanji, Grammatik und Vokabeln muss man natürlich auch noch lernen!) und man sollte so mit ~2-3 Jahren an Zeit rechnen, wenn man es gemütlich angeht. Es geht auch in einem Jahr, wenn man stramm dran bleibt.
Für Grammatik gibt es z.B. auch
Bunpro, basierend auf dem selben Prinzip.
Wenn Schreiben auch ein Skill sein soll, dann kommt man um das Schreiben nicht herum. Alles was ich schrieb gilt, nur dass dies immer ergänzt werden muss mit Schreibübungen im selben Rhytmus.
Imho ist Schreiben sehr, sehr fördernd zum Allgemeinen Behalten und Verständnis und vor allem zum Rekonstruieren der Kanji aus dem Kopf im Gegensatz "nur" zum Erkennen dieser.
Ich lerns trotzdem nicht, weil der zusätzliche Aufwand es imho nicht rechtfertigt.
Außerdem ist das Schreiben können (und aus dem Kopf rekonstruieren) als Skill praktisch gesehen relativ nutzlos, wenn man nicht (a) in Japan leben will, (b) Kalligraphie macht oder (c) einfach Kanji schreiben können will, da man eh alles digital schreibt und per Tastatur schreibt man keine Kanji, sondern Laute.
BTW, Heisigs 'Remembering the Kanji' und 'Kanjidamage' sind auch im Internet oft empfohlen, ich persönlich mag die jedoch nicht so, but YMWV. 'The Kodansha Kanji Learner's Course' ist auch empfohlen, hab ich persönlich aber keine Erfahrungen mit.
Eine weitere Möglichkeit ist es, Kanji komplett zu vergessen und einfach nur _Vokabeln_ lernen und sich somit nicht die einzelnen Kanji anzuschauen sondern diese immer nur im Kontext der Vokabel. Imho ist es jedoch besser, erst eine solide Kanjibasis zu haben und darauf aufbauend Vokabeln zu lernen.
Ah, und all diese Ressourcen sind natürlich (leider) in Englisch - es gibt imho keine guten japanischen Lernbücher/Apps/Webseiten auf Deutsch.
dx1 hat geschrieben: ↑09.07.2020 00:16
Danke für diese umfangreiche Erklärung. Es gibt also drei Schriftsysteme — Bull, Kanji und Hiragana. Von der ersten (Bull) habe ich bisher noch nie gehört/gelesen.
Ha, ja, fast OTZ x).
dx1 hat geschrieben: ↑09.07.2020 00:16
Was persönliches:
Deutsch scheint nicht Deine Muttersprache zu sein. Du machst viel 'code switching' ins Englische, ich bin aber ziemlich sicher, dass Du auch da kein 'native speaker' bist. Musst Du nicht beantworten, aber mich interessiert es: Welche Sprachen hast Du in der Kindheit und frühen Jugend (so bis 16 Jahre) im Alltag gebraucht?
Yes, and no. Ich bin nicht in Deutschland geboren und somit ist Deutsch _technisch_ nicht meine Muttersprache (das ist Russisch), ich bin jedoch mit 4 Jahren nach Deutschland gezogen und hier aufgewachsen. Soll heißen,
@
nur Russisch, überall sonst Deutsch.
Beruflich und Privat hab ich jedoch nun fast ausschließlich mit Englisch zu tun, 4players ist neben der tagesschau beinahe die einzige deutsche Seite, die ich frequentiere.
Ich bin aber nicht gut genug in Sprachen, um ohne "Kontext-Switch" von der einen in die andere zu wechseln.
"Kontext-Switch" heißt bei mir so ~ne halbe Stunde das Denken und Reden von der einen Sprache auf die andere umstellen.
Soll heißen, ich hab das vorhin in der Pause geschrieben und kam gerade von ausschließlich in Englisch denken und arbeiten. Das ist dann das Ergebnis wenn ich in der besagten halben Stunde bin ¯\_(ツ)_/¯ OTZ x).