In seinem hunderprozent subjektiven Kommentar »Die digitale Hexenjagd« schreibt Jörg Luibl am 19.06.2020:
Die Vorverurteilung von The Last of Us Part 2 hat auf hässliche Art gezeigt, wie politisiert die Spielewelt ist [...]
Es gibt nicht das eine Feindbild. Und selbst wenn? Auch das wäre natürlich erlaubt, wir sprechen über Fiktion! Schwarz und Weiß haben in der Geschichte der Spielebranche schließlich Tradition.
In meiner hundertprozent subjektiven Replik auf diesen Kommentar möchte ich nun darlegen, warum genau
dies nach meiner Wahrnehmung zumeist nicht mehr der Fall ist in der aufgeklärten westlichen Welt.
Los geht es damit, dass man mittlerweile, möchte man nicht die üblichen üblen Bezichtigungen ernten, nichts mehr von sich geben kann, ohne einen Full Disclaimer jener Gattung vorauszuschicken (mich ekelt es immer ein wenig, solche Selbstverständlichkeiten noch betonen zu müssen, aber in diesem Aspekt passe ich mich dann eben der Zeit an):
Ich denke antifaschistisch, antirassistisch, antihomophob, anti-antisemitisch. Und mit der christlichen Lehre hab ich auch so meine Probleme.
So weit, so unkontrovers.
Ebenfalls denke ich: antikommunistisch, antisozialistisch, anti-genderistisch, anti-„israelkritisch“. Und mit der islamischen Lehre hab ich auch so meine Probleme.
An der Stelle bekomme ich potentiell Probleme.
Als einfacher Bürger ohne Prominenz kann ich für fundierte, sachlich geäußerte Kritik an der BLM-Bewegung, am Non-Binary-Genderismus und am Islam noch meinen kleinen Shitstorm ernten und anschließend meines Weges gehen (wenigstens bis zur nächsten Verschärfung des NetzDGs). Als Unternehmer bin ich aber besser beraten, auf Eierschalen zu schleichen, will ich nicht die Existenz meiner Firma riskieren. Wer einen Jahresumsatz jenseits von 100 Mio USD verzeichnet und am 01. Juni nicht automatisch die Regenbogenflagge hisst, macht sich zumindest verdächtig; wer sich wagt, auch nur die geringsten Zweifel an den aktuellen Trends der LGBTQIAPK+-Community zu äußern, der sollte sich besser schonmal darauf einstellen, seine Stelle zu räumen.
Wie in der Tat eklig politisiert die Spielwelt seitens der Spieleschmieden ist, sieht man dieser Tage, wenn man Rocket League, Counter-Strike oder Die Sims startet und mit einer Solidaritätsbekundung für die BLM-Bewegung begrüßt wird. Einer Bewegung, die in militanten Teilen Anfang des Monats ganze Straßenzüge Manhattans und anderer Orte verwüstet hat. Wie gratismutig bis heuchlerisch-hohl derlei Bekundungen tatsächlich sind, zeigte neulich Bethesda, das auf all seinen globalen Twitter-Kanal-Ablegern die Regenbogenflagge als Profil-Avatar hisste – d. h. bei allen außer einem: bei „Bethesda Middle East“ wäre der Mut dann nämlich doch nicht mehr gratis gewesen.
So darf ich zumindest bezweifeln, dass saudische Counter-Strike-Spieler mit derlei Disclaimern begrüßt werden; vielleicht täusche ich mich auch, denn anti-us-amerikanisch anmutende Ressentiments stoßen in der Region Middle East gewiss nicht auf taube Ohren.
Zurück zu The Last of Us Part II: Ich hab mit Ellies sexueller Orientierung oder einem etwaigen Kampf gegen eine christliche Sekte als anti-homophober und antitheistischer Demokrat nicht das geringste Problem. Ich finde es im Jahr 2020 in den Breitengraden zwischen Nordamerika und Europa zwar nicht besonders mutig, diese Themen prominent zu inszenieren, es juckt mich aber auch nicht groß, so lang Drehbuch und Regie stimmen. Man muss ja auch nicht immer das Rad neu erfinden. Was ich aber nicht eine Minute glaube, ist jenes:
Es gibt nicht das eine Feindbild. Und selbst wenn? Auch das wäre natürlich erlaubt, wir sprechen über Fiktion!
So einseitig politisiert, wie es die westliche Welt zunehmend ist, so einseitig, wie sie die Rede- und Kunstfreiheit mittlerweile auslegt, würde ich augenblicklich sprichwörtlich meinen Erstgeborenen darauf verwetten, dass Gebäude gebrannt hätten, wäre The Last of Us Part II antigratismutig ein Spiel über eine charismatische homosexuelle Rassistin geworden, die einen Überlebenskampf gegen, unter anderem, einen sunnitischen Kult führt. In einer derart politisch-korrekt aufgeheizten Atmosphäre, in der bei jeder Werbung mit Frau im Bikini Sexismus und beim Schokokuss Rassismus gewittert werden; einer Kultur, die Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ von Universitätsfassaden entfernt; einer Kultur, in der der Fußballspieler Aleksander Katai seinen Job bei LA Galaxy verliert, weil seine Frau(!) auf serbisch kritisch über BLM auf Twitter zwitscherte; eine solche Kultur hätte, auch in fiktiver Darstellung im Rahmen eines Videospiels, sicher nicht mehr „das eine Feindbild“ erlaubt.
Diesen Text hätte ich nun gern unter Herrn Luibls Kommentar gesetzt. Leider dauerte es im dedizierten Kommentarbereich auch keine zwei Tage, bis er aufgrund der Einlassungen eines Foristen über die Natürlichkeit von Homosexualität dicht gemacht und die weitere Diskussion damit erst einmal erstickt wurde.
Als großer Fan freier Rede nach Vorbild des us-amerikanischen First Amendments von 1791 hätte ich mir an der Stelle gewünscht, diesen homophoben, nur scheinbar wissenschaftlich argumentierenden ebengenannten Spinner (bei dem Thema darf ich ihn ja problemlos so bezeichnen) einfach labern zu lassen, anstatt gleich ein ans Ordnungsamt erinnerndes Moderatorenteam die Crime Scene abriegeln zu lassen. Aber das scheinen die größten Teile der westlichen Gesellschaft, gleich ob in den USA, in Kanada, in Schweden oder in Deutschland, nicht mehr aushalten zu wollen.
"If you wake up at a different time in a different place, could you wake up as a different person?"